Nach laanger langer Zeit überwinde ich mich mal wieder dazu,
einen neuen Blogeintrag zu machen. Seit dem letzten Eintrag ist sehr viel
passiert, immerhin bin ich jetzt bald ein halbes Jahr hier, kaum zu
fassen. Was ich euch diesmal berichten
will, ist schon Ende Oktober geschehen. Ist ziemlich lange her, aber für mich
ein wichtiges Ereignis und bestimmt spannend für euch.
Ende Oktober hatten Clara und ich uns grade frisch die Haare
zu Rastas flechten lassen und dadurch zwei neue Freundinnen gewonnen; die
beiden Frauen, die uns frisiert hatten. Bald darauf wollten wir uns mit ihnen
treffen um zusammen zu kochen und die beiden fragen, ob wir am nächsten Sonntag
zusammen mit ihnen in die Kirche könnten, da uns interessierte, wie hier der
Gottesdienst so abläuft. Da das Treffen unglücklicherweise doch nicht zu Stande
kam, sind wir auch nicht zu der Gelegenheit gekommen zu fragen, ob wir in die
Kirche mitkommen können. Da wir aber eine große Kirche quasi direkt vor der
Haustüre haben, dachten wir, können wir ja auch da hingehen und uns das
anschauen. Wir machten uns um kurz vor 9 Uhr auf den Weg, um pünktlich da zu
sein. Wir wussten zwar nicht, wann der Gottesdienst dort beginnen würde, aber
von der Kirche in unserem Projekt kannten wir die Uhrzeit 9 Uhr. Im Grunde ist
es auch nicht so wichtig pünktlich zu kommen, viele kommen einfach wann sie
wollen bzw. können, sei es 1-2 Stunden später.
Wir kamen also dort an, wurden am Eingang freundlich begrüßt
und uns wurde ein Bibelspruch mit auf den Weg gegeben, und schon ging es los.
Der Gottesdienst hatte wahrscheinlich schon früher angefangen, da schon einige
Leute da waren und der Chor schon am Singen war. Uns wurde von einer netten
jungen Dame der Platz sogar zugewiesen. Den genauen Ablauf des Gottesdienstes
hab ich nicht mehr im Kopf, dafür ist es doch zu lange her.
Ich fand die Kirche erst total cool, weil sie so modern
ausgestattet war, aber auf den zweiten Blick erschien mir alles protzig. Die
Männer, die geredet/gepredigt haben (ich weiß nicht, ob man es Pfarrer nennen
kann, es war nicht wie in einem deutschen Gottesdienst), hatten alle weiße
Anzüge mit roten Krawatten an, die Frauen des Chors lange rote Kleider, und
selbst die Kinder, die später noch getanzt haben, waren im selben Dresscode. Im Gegensatz zu einem deutschen Gottesdienst
(der evangelischen Landeskirche), wo der Pfarrer leise und schleppend aus der
Bibel erzählt und ab und zu die ganze Gemeinde zögerlich und schräg aus dem
Gesangsbuch ein/zwei Lieder singt, ging es in diesem Gottesdienst ganz anders
zu. Während ein Mann vorne auf- und ablaufend lauthals Gott gepriesen hat,
spielte die Band/der Chor nebenher und dadurch wirkte das Ganze sehr
energiegeladen. Zwischendurch gab es auch Phasen, in denen man für sich beten
konnte. Aus einem Gottesdienst zu Hause kenne ich das so, dass für ein paar
Minuten komplette Stille herrscht und die Leute still für sich beten. In dieser
Kirche (aber auch in anderen hier) beten die Leute alle laut vor sich hin und
mit der Zeit wird die Gemeinde auch immer lauter. Was beeindruckend sein kann,
aber auch ein bisschen creepy. In dieser Kirche war das ziemlich krass, weil
die Leute einerseits sehr lange am Beten waren, und nebenher der Mann immer
„Take your time, take your time“ und
anderes in sein Mikrofon gerufen hat. Viele redeten einfach so vor sich hin, aber andere gestikulierten
und stampften mit den Füßen auf, weil sie sich so reingesteigert hatten. Als
die Frau, die uns auch zu unserem Platz geführt hatte, sah, dass wir nicht
beteten, sondern nur in der Gegend herumstarrten, kam sie extra nochmal auf uns
zu, um uns darauf aufmerksam zu machen: „This is the time to pray.“
Das alles war erst beeindruckend mit anzusehen, aber
irgendwann bekamen wir Hunger und wunderten uns, dass das so lange ging. Wir
planten nämlich ein, dass der Gottesdienst bestimmt bis um 12 ungefähr gehen
würde, da wir auch das von der Kirche in unserem Projekt kannten (was ich schon
relativ lang finde). Um 12:30 Uhr waren wir überzeugt, der Gottesdienst würde
bald enden, doch dann wurde uns klar, als er um 13:00 immer noch nicht endete,
dass wir nicht abschätzen können, wie lange es noch dauern würde. Um diese
Uhrzeit fing dann auch der krassere Teil der Geschichte an.
Wir hatten schon vorher von Kirchen gehört, in denen die
Leute vor der gesamten Gemeinde „gesegnet“
würden und manche so berührt wären, dass sie umfallen oder herumtaumeln
würden. Wir ahnten wirklich gar nichts dergleichen, und doch stellte sich
heraus, dass diese Kirche genau so eine sein würde. Der Mann, der das Segnen
übernahm, segnete erst ein paar ausgewählte Personen, indem er ihnen die Stirn
„berührte“ bzw. sie heftig vor die Stirn schlug. Danach stellte sich die ganze
Kirche zwischen den Bänken an, um dann, jeder einzeln, gesegnet zu werden. Wir
waren erst total überwältigt von dem Schauspiel, als wirklich die ersten kurz
umfielen, aber schnell wieder von Helfern auf die Beine gebracht wurden. Dann
sahen wir, wie manch einer vorne durch die Kirche taumelte und der Segnende vor
ihm Gestiken tat, die so wirken sollten, als führte er den Taumelnden. Erst
stellten wir uns in die Schlange, da wir dachten, der Mann würde einen nur kurz an der Stirn
berühren. Als wir aber schon fast ganz vorne standen und mehr von dem Spektakel
zu sehen bekamen, sah ich, dass er manche fast schubste und nicht nur die Hand
auf die Stirn legte. Ich entschied also zurück zu meinem Sitzplatz zu gehen und
von da aus zu zuschauen, kurz darauf wollte auch Clara nicht mehr vorne stehen.
Wir haben ewig der Prozedur gespannt und auch geschockt zugeschaut, bis fast
alle gesegnet waren.
Jetzt kommt aber erst der spannende Teil der Geschichte! Da
wir - mit einer Ausnahme – die einzigen beiden Weißen in der Kirche waren, fielen
wir dementsprechend auf und der Mann der alle segnete bemerkte, dass wir nicht
an der Segnung teilgenommen hatten. Also kam er danach auf uns zu und zwei
Kameras und Mikrofone (der ganze Gottesdienst wurde gefilmt) kamen sofort
hinzu. Er streckte mir seine Hand entgegen und ich dachte, er will nur kurz das
gleiche durchziehen, das er es bei allen anderen gemacht hatte: Mir mit der
Hand leicht vor die Stirn schlagen, und so gab ich ihm meine Hand, um das Ganze
möglichst schnell hinter mich zu bringen. Nachdem er mir einige Augenblicke mit
besessenen Augen in meine geschaut und mir leicht ins Gesicht gepustet hatte,
schlug der Mann mich so heftig gegen meinen Kopf, dass mir sofort klar wurde,
wieso so viele Leute umgefallen waren. Er schlug mehrmals heftig zu, aber ich
fiel trotz allem nicht um, weil ich nicht, im Gegensatz zu anderen, der festen
Überzeugung war, Gottes Kraft würde mich durch seine Hand berühren. Deshalb zog
er mich an meinen Haaren, damals noch massig geflochtene Rastas, auf den Boden.
Das war für mich dann echt endgültig der Beweis, dass das nur ein Heuchler in
einer einzigen großen Show war. In meiner Wut und meinem Entsetzen stand ich
auf und schaute zu, wie er das Gleiche mit Clara versuchte. Sie war aber
schlauer; sie setzte sich sofort wieder auf ihren Stuhl, nachdem er auf sie
zutrat und sagte, sei wolle das nicht. Er ist natürlich nicht gleich
weggegangen, sondern hat sie nach ihrem Namen usw. gefragt, während sich die
Mikrofone an ihren Mund drängten. Danach hat er auch ihre Hand genommen und sie
angestarrt pipapo, wie er es bei mir gemacht hatte. Zusätzlich legte er ihr die
eigene Hand aufs Herz, wahrscheinlich um sie spüren zu lassen, wie aufgeregt sie sei. Das machte er auch
nochmal bei mir und zum Schluss meinte er „Jesus loves you!“, nach dem Motto:
der Teufel ist aus dir raus, Jesus liebt dich.
Gruselig war auch, dass während dem kompletten Segnen, das
bestimmt eine Stunde lang ging, der Chor und die ganze Gemeinde „out! Out!!“
gerufen hat, wie um den Teufel auszutreiben.
Danach waren wir erstmal den ganzen Tag geschockt und sehr
aufgebracht (um 14:00 Uhr haben wir die Kirche verlassen!). Aber im Nachhinein
war es gut, so eine Erfahrung auch mal gemacht zu haben. Da uns schon zuvor
davon erzählt wurde, hätte es mich wahrscheinlich ewig interessiert, mal zu
sehen wie das wirklich abläuft. Aber das ist natürlich dann von Kirche zu Kirche
auch nochmal anders.
Jedenfalls haben wir eines Tages doch noch die Kirche
unserer Freundin besucht, die sehr viel angenehmer war und auch nur 2 Stunden
gedauert hat anstatt 5…
P.S.: Es könnte sein, dass „Segnen“ das falsche Wort dafür
ist, aber ich habe es so aufgefasst und das ergibt für mich am meisten Sinn.
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